Die neue EU-Abfallverbringungsverordnung (2024/1157) bringt strengere Regeln für den Export gebrauchter Reifen in Nicht-OECD-Staaten mit sich. Mit dem zu erwartenden Rückgang der Exporte in Drittstaaten werden künftig bis zu 800.000 Tonnen gebrauchter Reifen zur klimagerechten stofflichen oder chemischen Verwertung in der EU verbleiben. Das eröffnet neue Chancen für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Deutschland und Europa. Die Allianz Zukunft Reifen (AZuR), die schon seit längerem ein Exportverbot für Altreifen fordert, begrüßt die neue EU-Verordnung ausdrücklich.
Mit der neuen EU-Abfallverbringungsverordnung (2024/1157) zieht die Europäische Union Konsequenzen aus jahrzehntelanger Kritik an Umweltstandards beim Export von Abfällen. Die Verordnung sieht ab Mai 2027 ein Exportverbot für nicht gefährliche Abfälle wie Altreifen in Nicht-OECD-Länder vor – sofern diese die strenge EU-Standards nicht nachweislich erfüllen. Das AZuR-Netzwerk bewertet diese Entwicklung positiv: Sie stärkt die inländische Recyclingwirtschaft und schafft eine wichtige Grundlage für den Ausbau der stofflichen und chemischen Altreifenverwertung in Europa.
800.000 Tonnen Altreifen jährlich – eine Chance für den europäischen Markt
Laut einer aktuellen Marktanalyse von Astutus Research wurden 2024 in Europa rund 4,5 Millionen Tonnen Altreifen erzeugt. Bis 2030 wird ein Anstieg auf über 4,9 Millionen Tonnen prognostiziert – getrieben durch wachsende Mobilitätsbedarfe, schwerere Fahrzeuge (z. B. E-Autos) und höhere Felgendurchmesser. Der Altreifenexport aus Europa erreichte 2024 ein Rekordvolumen von 1,7 Millionen Tonnen – ein Plus von 11 % im Vergleich zu 2023.
Von diesen 1,7 Millionen Tonnen Altreifen werden jährlich rund 800.000 Tonnen aus der EU in Nicht-OECD-Länder exportiert – vorrangig nach Indien und Marokko. Diese Verwertungswege stehen ab 2027 auf dem Prüfstand. „Alleine in Deutschland könnten über 100.000 Tonnen Altreifen jährlich zusätzlich zur Verfügung stehen – ein enormes Potenzial für die Reifen-Kreislaufwirtschaft“, erklärt Christina Guth, Koordinatorin des AZuR-Netzwerks.
Mehr Material für die nachhaltige stoffliche oder chemische Verwertung
Mit dem Rückgang der Exporte in Drittstaaten wird künftig ein deutlich größerer Anteil gebrauchter Reifen in Europa verbleiben – und damit für das klimaverträgliche Recycling zur Verfügung stehen. Damit wirkt sich die neue EU-Verordnung unmittelbar auf die Versorgungslage der Verwerter aus, insbesondere im Bereich innovativer Recyclingverfahren. Moderne thermolytische Verfahren ermöglichen es zum Beispiel, aus Altreifen klimaschonend wertvolle Sekundärrohstoffe zu gewinnen, wie Öl (TPO) oder Industrieruß (rCB).
„Diese Mengen sind für uns eine große Chance“, so Guth. „Endlich besteht die Möglichkeit, das bislang exportierte Material unter kontrollierten Bedingungen in Europa zu verwerten – mit geprüften Umweltstandards und in enger Abstimmung mit Forschung und Industrie.“ AZuR sieht darin auch einen wichtigen Hebel zur Umsetzung europäischer Umwelt- und Kreislaufwirtschaftsziele. Je mehr Material verfügbar ist, desto stärker kann die Recyclingbranche auf nachhaltige und ressourcenschonende Technologien setzen – und somit langfristig den ökologischen Fußabdruck der Mobilität reduzieren.
Nachhaltig klare Perspektiven für alle Akteure entlang der Lieferkette
Die neue Verordnung bringt nicht nur strengere Anforderungen mit sich, sondern vor allem mehr Klarheit und Verlässlichkeit für alle Akteure entlang der Lieferkette. Für Exporte in Nicht-OECD-Länder gilt künftig: Nur Länder, die bis zum 21. Februar 2025 fristgerecht einen Antrag bei der EU-Kommission gestellt haben, können weiterhin Reifen importieren – sofern sie von der Kommission bis spätestens November 2026 als geeignet eingestuft werden. Bewertet werden dabei Umweltstandards, Infrastruktur und gesetzliche Rahmenbedingungen auf dem Niveau der EU.
Wird ein Land von der Kommission als zulässig eingestuft, folgt eine zweite, noch konkretere Prüfungsebene: Jede einzelne Empfängerfirma, die Altreifen aus der EU importieren möchte, muss sich einem individuellen Audit durch einen unabhängigen und EU-anerkannten Prüfer unterziehen. Erst bei erfolgreicher Zertifizierung ist ein Export zulässig. Für Exporte in OECD-Staaten wie die Türkei bleibt die Ausfuhr weiterhin möglich, allerdings unterliegt sie verpflichtenden Melde- und Überwachungspflichten, um die tatsächliche Verwertung vor Ort sicherzustellen.
Für Exporteure, Recycler und Behörden bedeutet das: verbindliche Regeln statt Grauzonen. Die neuen Vorgaben sorgen für Transparenz, faire Wettbewerbsbedingungen und langfristige Planungssicherheit. Unternehmen, die auf nachhaltige und kontrollierte Verwertung setzen, erhalten dadurch ein deutlich stärkeres regulatorisches Fundament – ein wichtiger Schritt hin zu professionellen und zukunftssicheren Verwertungsstrukturen in Europa.
„Die EU-Abfallverbringungsverordnung ist nicht nur ein umweltpolitisches Signal, sondern eine industriepolitische Chance“, fasst Guth zusammen. „Sie schafft faire Bedingungen für europäische Recycler, fördert Investitionen in moderne Technologien und bringt Europa einen entscheidenden Schritt näher zur echten Kreislaufwirtschaft.“